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«Das Gas-Verteilnetz wird weiterhin eine wichtige und sinnvolle Rolle spielen können, allerdings nicht in seiner heutigen Ausdehnung und Struktur»

Wie sieht die Zukunft der Gas-Infrastruktur aus? In 80% der Mitgliedergemeinden des Metropolitanraums Zürich bestehen Gasnetze, die fast ausschliesslich der öffentlichen Hand gehören. Die Energieversorgung ist im Umbruch, durch die Energie- und Klimapolitik werden verstärkte Effizienzmassnahmen und der Umstieg von fossilen auf erneuerbare Energieträger gefördert und gefordert. Als Schlussprodukte des zweijährigen Dialogprojekts «Gas-Infrastruktur» liegen ein Ratgeber für Gemeinden und Gasversorger und ein Fachbericht für das Fachpublikum vor.

1. Welche Rolle spielen das Gas-Verteilnetz und erneuerbare Gase in einer klimaneutralen Welt?
SPN: Szenarien einer klimaneutralen Zukunft zeigen eine grosse Vielfalt möglicher Entwicklungen. Allen Zukunftsbildern gemeinsam ist jedoch, dass die Elektromobilität und Wärmepumpen dabei eine Schlüsselrolle spielen und Strom damit also eine wichtigere Rolle einnimmt als heute. Strom ist jedoch nicht für jeden Einsatzbereich in gleichem Masse geeignet. Für einige Anwendungen gibt es in der Schweiz kaum Alternativen zu Brenn- oder Treibstoffen. Dazu gehören beispielsweise Hochtemperatur-Prozesse, der strassenbasierte Güterverkehr oder die Stromerzeugung im Winter. In diesen Einsatzgebieten übernehmen also erneuerbare Gase eine zentrale Rolle in einer klimaneutralen Welt. Für das Gas-Verteilnetz bedeutet dies, dass es weiterhin eine wichtige und sinnvolle Rolle spielen kann, allerdings nicht in seiner heutigen Ausdehnung und Struktur. In der breitflächigen Versorgung von gewöhnlichen Wohnquartieren spielt Gas in einer klimaneutralen Welt keine Rolle mehr.

2. Was bedeutet die aktuelle Entwicklung weg von fossilen hin zu erneuerbaren Energieträgern für den Betrieb, die Weiterentwicklung und die Finanzierung der Gas-Verteilnetze?
SPN: Gebäudevorschriften und Förderprogramme führen immer mehr dazu, dass Eigentümer auf Wärmeverbunde, Wärmepumpen oder Holzheizungen umsteigen und somit für die Gasversorgung als Einzelkunden verloren gehen. Die Netzkosten müssen damit auf weniger Absatz verteilt werden und verteuern die Gasversorgung für die verbleibenden Kunden. Auch aus politischen Gründen wird die Gasversorgung teurer, beispielsweise über die CO2-Abgabe oder die Forderung eines Anteils erneuerbaren Gases. Die Verteuerung der Gasversorgung kann je nach Umfeld wiederum zu einem Verlust von mehr Kunden führen, es droht potenziell ein «Teufelskreis». Ein Schweizer Gasversorger liess betriebswirtschaftlich simulieren, welche Wirkung eine starke Klima- und Energiepolitik auf sein Verteilnetz hätte. Das Resultat war, dass mittelfristig rund die Hälfte der Erneuerungen der Leitungen nicht mehr wirtschaftlich sind. Die aktuelle Entwicklung bedeutet also, dass Gasversorger nicht mehr einfach von rentablen Ersatzerneuerungen ausgehen können, sondern hier genauer hinschauen müssen. Zudem muss langfristig geplant werden, denn kommt es zu Stilllegungen, müssen die Kunden frühzeitig informiert werden, je nach Ausgangslage bis zu 20 Jahre im Voraus.

3. Der Handlungsbedarf für Gemeinden, Städte und Gasversorger scheint gross zu sein. Wie sieht das ideale Vorgehen aus?
SPN: Das lässt sich so pauschal nicht sagen, da die Ausgangslagen so vielfältig sind. Je nach Gemeinde wird Gas eher für die Raumwärme oder für Prozessgas eingesetzt, ist das Netz noch jung oder schon alt, ist die Gemeinde (Mit-)Eigentümerin des Versorgers oder nicht. In jedem Fall sollte eine langfristige, räumliche Energieplanung die Basis des Vorgehens bilden (siehe dazu auch den Werkzeugkasten von EnergieSchweiz). Oft wird in der Energieplanung der Umgang mit dem Gasnetz nicht konkretisiert. Um langfristig einen wirtschaftlichen Betrieb seines Netzes sicherzustellen, ist daher jedem Gasversorger empfohlen, eine strategische Netzplanung zu erarbeiten, die mit der Energieplanung kongruent ist. Wir empfehlen, unterschiedliche Absatzszenarien zu erarbeiten, ihre Wirkung geografisch differenziert auf die Rentabilität des Netzes zu betrachten und dies als Grundlage für einen strategischen Prozess zu nutzen.

4. Was gilt als wichtigster Erfolgsfaktor, damit die Energie- und Netzplanung gelingt?
SPN: Ein wichtiger Erfolgsfaktor ist eine enge Kooperation zwischen Gemeinde und Versorgern von Elektrizität, Gas und Wärme, unabhängig von den Besitzverhältnissen. Dazu braucht es gemeinsame übergeordnete Ziele, die von beiden Seiten in Wort und Tat mitgetragen werden. Für die Konkretisierung des Plans auf Ebene Strassenzug sind Informationen und Know-how der Energieversorger unabdingbar. Umgekehrt brauchen die Versorger zur Planungssicherheit Informationen zu den Plänen und Vorhaben der Gemeinde, wie bspw. Wärmeverbunde, Aufzonungen und Strassenarbeiten.
Ein weiterer wichtiger Erfolgsfaktor in der Umsetzung des Planes ist aus unserer Sicht das Festlegen von Prozessen bei laufenden Entscheiden zur Gasnetz-Infrastruktur. So ist zu definieren, welches Gremium auf der Basis welcher Grundlagen und Kriterien über eine neue Leitung, eine Erneuerung, eine Stilllegung entscheidet.

5. Der Ratgeber beinhaltet unter anderem Best Practices von Gemeinden und Städten aus dem Metropolitanraum. Können Sie uns eines dieser guten Beispiele kurz vorstellen und erläutern?
SPN: Seit 2007 orientiert sich die Stadt St. Gallen an einem breit abgestützten Energiekonzept. Dabei arbeitet das Amt für Umwelt und Energie sehr eng mit den St. Galler Stadtwerken zusammen. Die Federführung für die Erarbeitung des Energieplans lag beim Amt, für die Detaillierung auf Ebene Strassenzug beim Stadtwerk. Zentrales Werkzeug für die Festlegung war ein Entscheidungsbaum, der anhand von zahlreichen Kriterien pro Strassenzug zu einer Empfehlung für den Zielzustand 2050 und einer Empfehlung für die Phase der Transformation 2030 führt. Das Amt für Umwelt und Energie prüft nicht die Einzelentscheide, sondern übergeordnet, ob mit den vorgeschlagenen Lösungen die städtischen Ziele insgesamt erreicht werden.

Zum Ratgeber

Der Ratgeber ist das Ergebnis des zweijährigen Dialogprojekts «Gas-Infrastruktur», das gemeinsam mit der EBP Schweiz AG und Vertreter*innen von Gemeinden, Versorgern, Kantonen, dem Bund und Verbänden realisiert wurde

Sabine-Perch-Nielsen

Sabine Perch-Nielsen (SPN), EBP Schweiz AG