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Metropolitanraum-Zuerich-Freuenbach

Aufgefallen – Reisen bildet

Auf Reisen entdecken und erleben wir Neues, dem wir zu Hause im vertrauten Umfeld gar nicht oder in anderer Art und Weise begegnen. Fällt uns diese Neu- bzw. Andersartigkeit auf, zeigen wir meist eine der folgenden beiden Reaktionen. Entweder sind wir froh darüber, dass dies oder jenes bei uns nicht so ist oder wir fragen uns, wieso das bei uns nicht auftritt. Solchen Erlebnissen widmet sich die neue Beitragsserie «Aufgefallen». Wir haben Vereinsvizepräsident Anders Stokholm, Stadtpräsident von Frauenfeld, zu seinen Beobachtungen einer vergangenen Reise nach Kopenhagen DK befragt.

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1. Anders Stokholm, wir freuen uns, dass Sie sich als erster für unsere neue Beitragsreihe zur Verfügung stellen. Sie waren kürzlich in Kopenhagen. Was ist Ihnen bei Ihrem Aufenthalt «aufgefallen»?
Stokholm: «Koebenhavn» ist die Heimat meiner Mutter und – wie der Name sagt – eine Kaufmannsstadt mit sehr langer Tradition. Handel, vor allem zu Wasser, gehört zur DNA der Stadt und entsprechend ist Mobilität schon immer ein Thema gewesen. Im 20. Jahrhundert nahm das Auto seinen Siegeszug auch hier, doch es verdrängte nie vollständig andere Formen der Fortbewegung, sei es zu Wasser, zu Fuss oder per Velo. Bei meinem letzten Besuch in Dänemark fiel mir auf, wie sehr das Velo nun die Strassen erobert. Es werden vermehrt eigene Velorouten gebaut oder ganze Fahrstreifen der breiten Boulevards für die Velos reserviert. Sogar Brücken eigens für die Velos sind gebaut worden.

2. Welche Vor- und Nachteile hat die Entwicklung hin zu einer Velostadt aus Ihrer Sicht für Kopenhagen?
Stokholm: Kopenhagen ist leiser geworden, aber nicht weniger betrieben. Als Fussgänger muss man bei Strassenüberquerungen sehr aufmerksam unterwegs sein, die Velos kommen schnell und leise. Vor allem aber prägen nicht mehr abgestellte Autos das Strassenbild so dominant wie in früheren Zeiten, sondern Velos, die allerdings in grosser Zahl auf kleinerem Raum Platz finden. Das gibt wiederum mehr Raum für andere Bespielungen von Plätzen, sei es künstlerisch, sei es gastronomisch.

3. Das Fahrrad ist in der Kultur des nordischen Inselstaats Dänemark tief verankert. Inwiefern vereinfachen bzw. beschleunigen kulturelle Gegebenheiten eine solche Entwicklung Ihrer Meinung nach?
Stokholm: Es gibt viele Gründe, weshalb sich Dänemark bezüglich Fahrräder anders entwickelt hat. Als flaches Land kommt man mit weniger hochgerüsteten, einfacheren und darum auch günstigeren Velos gut von A nach B. Dänemark ist topografisch bedingt auch mit mehr Raum bebaut, man konnte in die Fläche bauen, breite Strassen und daneben noch eigene Velowege anlegen. Das Auto wird als sogenanntes Luxusgut sehr hoch besteuert, man zahlt locker drei Mal mehr für ein Auto als in der Schweiz. Ein Zweit- oder Drittauto können bzw. wollen sich viele nicht leisten. Und die Dänen lieben Gemütlichkeit, «Hygge», wie wir es nennen. Also kann man es auch etwas gemütlicher nehmen, kann sich für vieles etwas mehr Zeit lassen. Und last, but not least: Die dänische Mode ist betont locker und allwettertauglich, was sich gut verträgt mit dem Velofahren.

4. Sehen Sie eine Möglichkeit, dass dieses Konzept auch im Metropolitanraum umsetzbar ist? Wenn ja, wie und wo könnte man diese Ausdehnung des Veloverkehrs vorantreiben?
Stokholm: Die Umstände sind in der Schweiz schon anders. Hier wird das Fahrrad primär als Sportgerät angesehen. Mit der Elektrifizierung bekommt es aber einen Schub. Man kann eher mit dem Autoverkehr mithalten, man kommt auch gut und zügig Steigungen hinauf und man kommt nicht total verschwitzt an. Vor allem in Agglomerationen von grossen Zentren sehe ich ein grosses Potenzial für das Fahrrad in seiner Form als E-Bike. Es kann zum Alltagstransportmittel werden, raumsparend, leise und in Stosszeiten gleich schnell oder schneller als das Auto. Agglomerationen sollten deshalb vermehr neben Komfort-Routen auch auf Schnell-Routen für Fahrräder setzen, sei es durch das Freigeben von Spuren, sei es durch gezielte Ergänzungen des Velorouten-Netzes, durchaus auch mit sogenannten Kunstbauten, wie Tunnels oder Brücken.