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Metropolitanraum-Zuerich-Freuenbach

«Aufgefallen – Reisen bildet»

Auf Reisen entdecken und erleben wir Neues, dem wir zu Hause im vertrauten Umfeld gar nicht oder in anderer Art und Weise begegnen. Fällt uns diese Neu- bzw. Andersartigkeit auf, zeigen wir meist eine der folgenden beiden Reaktionen. Entweder sind wir froh darüber, dass dies oder jenes bei uns nicht so ist oder wir fragen uns, wieso das bei uns nicht auftritt. Solchen Erlebnissen widmet sich die neue Beitragsserie «Aufgefallen». Dr. Manuel Buchmann ist vor Kurzem von einer Reise nach Uganda zurückgekehrt und berichtete uns von seinen Eindrücken. Der Projektleiter und Autor am Kompetenzzentrum Demografik beschäftigt sich intensiv mit den Themen Fachkräftemangel und demografischer Wandel.

Uganda National Mosque_Manuel Buchmann

1. Manuel Buchmann, wir freuen uns, dass Sie sich für unsere Beitragsreihe zur Verfügung stellen. Sie waren kürzlich in Uganda. Was hat Sie zum diesem exotischen Reiseziel geführt?
Buchmann: Das war tatsächlich die Demografie. Nicht nur die Schweiz und der Metropolitanraum Zürich beschäftigen sich aktuell mit diesem Thema, sondern auch grosse Teile der Subsahara-Afrikas. Dies aber in einem völlig anderen Kontext. Während wir uns in der Schweiz um die Überalterung und einen Arbeitskräftemangel Sorgen machen, steht Uganda aktuell kurz vor dem Übergang in eine Gesellschaft mit einem sehr hohen Anteil an Personen im Erwerbsalter. Unter gewissen Umständen kann eine solche Gesellschaft eine so genannte «Demografische Dividende» einfahren, die sich im besten Fall in einem hohen Wirtschaftswachstum und explosiven Fortschritten in der Entwicklung des Landes äussert. Länder wie Südkorea, Singapur oder Taiwan konnten die «Demografische Dividende» in der Vergangenheit zu ihrem Vorteil nutzen. Die Dividende ist aber nicht automatisch – dies zeigen Beispiele wie Südafrika und Brasilien, deren Wirtschaftswachstum trotz vorteilhafter Demografie deutlich unter den Erwartungen geblieben ist. Der Regierung von Uganda ist es aktuell ein grosses Anliegen, zu verstehen, was Uganda machen muss, um die demografische Ausgangslage Ugandas bestmöglich zu nutzen. Genau darum ging es bei der Konferenz, zu der ich gemeinsam mit weiteren Schweizer Expert*innen als Redner eingeladen war.

2. Was ist Ihnen bei Ihrem Aufenthalt «aufgefallen»?
Buchmann: Die Bevölkerung ist unglaublich jung. Mit einem Durchschnittsalter von 15,8 Jahren ist Uganda das drittjüngste Land der Welt, und das merkt man auch. Auf der Strasse sieht man an allen Ecken junge Mütter mit mehreren Kindern, Schulklassen und junge Männer auf der Suche nach Arbeit. Ältere Menschen trifft man ausserhalb der Sitzungen mit Regierungsvertreter*innen und Professor*innen so gut wie gar nicht. Die junge Generation ist aber ungemein engagiert und bestrebt, eine nachhaltige Zukunft für dieses vielfältige Land aufzubauen. Dies merkt man an den Fragen und Inputs der jungen Zuhörer*innen, aber auch an der allgemeinen Geschäftigkeit und einer spürbaren Energie auf den Strassen.

Was ebenfalls rasch auffällt, ist die Bedeutung der Religion für diese Gesellschaft. Die Konferenz wurde von einem Pfarrer mit einem Gebet eröffnet und beendet. Dieser Pfarrer hat aber auch während der Fragerunde eine aktive Rolle gespielt. Dies nicht nur aus persönlichem Interesse, sondern auch, weil die Transmission von Informationen zwischen öffentlicher Debatte, politischen Entscheidungsträgern und der allgemeinen Bevölkerung in erster Linie über die religiösen Führer*innen geschieht – der Bevölkerung fehlt schlichtweg das Vertrauen in die Politik. Von Bedeutung ist dabei in Uganda nicht nur die Katholische Kirche, sondern auch die Anglikanische Gemeinschaft sowie der Islam. Bemerkenswert ist dabei der Respekt, der gegenüber den verschiedenen Religionen gezeigt wird. Obwohl die Religion einen wichtigen Teil des Lebens in dieser Gesellschaft darstellt, sind religiöse Konflikte eine Seltenheit. Jede der drei Hauptreligionen verfügt über ein grosses Gebetshaus auf dem Gipfel einer der «sieben Hügel», die das historische Zentrum von Kampala ausmachen; innerhalb der Stadt sind aber Religionen und Kulturen bunt durchmischt. Vielleicht ist diese grosse gegenseitige Akzeptanz auch der Geschichte Ugandas geschuldet. Uganda setzt sich nämlich ursprünglich aus über 20 Königreichen zusammen (das bekannteste davon ist auch Namensgeber des Landes: Buganda), insgesamt werden über 40 Sprachen gesprochen. Die Monarchen sind heute noch einflussreiche Persönlichkeiten in den diversen Gebieten des Landes und teilweise noch lokalpolitisch aktiv, obwohl Uganda selbst offiziell keine Monarchie ist. Die Hauptstadt Kampala ist heute ein Schmelztiegel verschiedenster Ethnien, Kulturen und Religionen.

3. Welche Vor- und Nachteile hat diese gesellschaftliche Zusammensetzung aus Ihrer Sicht für Kampala?
Buchmann: Kampala boomt. Überall entstehen neue Gebäude, alte Kieswege weichen modernen Autobahnen und Restaurants. Die Bevölkerung wandelt sich langsamer. Noch immer grasen Ziegen in Vorgärten und Kühe werden über die Autobahn getrieben. Die Strassen sind überfüllt mit Motorrädern, die aus allen Richtungen um die Autos flitzen. Vortritt hat das grössere Fahrzeug und die lautere Hupe. Auch profitieren längst nicht alle Bevölkerungsschichten von der Entwicklung des Landes. Slums vergrössern sich, es gibt nicht ausreichend Arbeitsplätze für die riesige Anzahl an jungen Erwachsenen. Dementsprechend ist auch Kriminalität ein Thema. Sicherheitskräfte mit Kalaschnikows am Anschlag sind an allen Eingängen teurerer Hotels, Restaurants und Büros Standard. Dennoch ist es bemerkenswert, wie freundlich man als «Weisser» überall empfangen wird, auch ohne finanzielle Hintergedanken. Die Ugander haben immer ein Lachen auf den Lippen und freuen sich über jeglichen Austausch mit fremden Kulturen. Aktives Betteln oder klassische Touristenfallen erlebt man kaum. Vielleicht liegt dies daran, dass das Land ausserhalb der klassischen Safaris im Osten und Berggorilla-Touren im Westen touristisch noch kaum erschlossen ist. Das macht Kampala attraktiv als «alternative» Reisedestination und für visionäre geschäftliche Partnerschaften. Das Land hat Investitionen in seine Wirtschaft bitter nötig, um seine «Demografische Dividende» zu aktivieren.

4. Sehen Sie in Kampala Aspekte, die auch im Metropolitanraum umsetzbar sind?
Buchmann: Natürlich ist eine Stadt wie Kampala nur schwer mit dem Metropolitanraum Zürich vergleichbar. Dennoch gibt es Aspekte, bei denen wir von Uganda lernen können. In erster Linie ist hier die kulturelle Offenheit und Akzeptanz zu nennen. Durch die hohe Einwanderung in den Metropolitanraum, ist auch hier eine immer grössere Durchmischung verschiedener Kulturen und Religionen zu beobachten. In vielen Teilen der Bevölkerung fehlt hierzulande aber noch die Offenheit und die Freude, von fremden Kulturen zu lernen. Auch sind die Energie und das Engagement der jungen Generation in Kampala erfrischend. Sie ist sich seiner Bedeutung bewusst und nimmt diese Verantwortung wahr. Auf Ebene der Regierung und Politik ist hervorzuheben, dass die Bedeutung der Demografie für die Zukunft des Landes auf höchster Ebene erkannt wird, und entsprechende Forschung auch finanziell gefördert wird. In der Schweiz wird dieses Thema leider noch zu oft unterschätzt, obwohl es eigentlich auch bei uns von grösster Bedeutung wäre. Die Metropolitankonferenz Zürich macht hier mit ihrem aktuellen Kooperationsprogramm gute Schritte in die richtige Richtung; das Thema verbleibt aber in vielen Kreisen von Politik und Wirtschaft eine Randerscheinung.