logo_MK

Interview mit Stadtrat Fabrizio Hugentobler zur Gasnetzstrategie Thurplus

Im Herbst 2020 fand die Abschlussveranstaltung des Projekts «Zukunft der Gas-Infrastruktur» zusammen mit Expert*innen von Stadtwerken, Gasversorgern und aus der Energie- und Umweltdirektion statt. Uns interessiert, was aus dem Projekt und dessen Ratgeber für Gemeinden und Gasversorger entstanden ist.

Dafür durften wir mit Stadtrat Fabrizio Hugentobler der Stadt Frauenfeld ein Interview führen. Er ist Departementsvorsteher bei Thurplus, dem Versorger der Stadt Frauenfeld. Thurplus war beim Projekt der Metropolitankonferenz Zürich zwar nicht direkt als Akteur beteiligt, hat jedoch im Nachgang, aufbauend auf den dort erarbeiteten Grundlagen, eine Gasnetzstrategie zusammen mit der Projektleiterin Sabine Perch-Nielsen der EBP Schweiz AG erarbeitet.

Bild: Druckreduziermessstation in Gerlikon

1. Am 6. September 2022 verabschiedete der Stadtrat Frauenfeld die Thurplus Gasnetzstrategie zur zukünftigen Ausrichtung der Gas-Infrastruktur. Wie kam es dazu und wie sieht diese Strategie konkret aus?

Fabrizio Hugentobler: Thurplus versorgt die Stadt Frauenfeld und drei umliegende Gemeinden mit Gas. Die Rahmenbedingungen für die Gasversorgung sind stark im Wandel. So wurde im Jahr 2020 die Eigentümerstrategie für Thurplus überarbeitet, die eine Orientierung am Netto-Null-Klimaziel bis 2050 vorsieht. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, welche Rolle die Gasverteilnetze in Zukunft spielen können und sollen. Mit der vorliegenden Gasnetzstrategie definiert Thurplus Handlungsfelder und Massnahmen für einen zukunftsgerichtete Ausrichtung der Gasversorgung in ihrem Versorgungsgebiet.

Der Gasabsatz von Thurplus soll von heute knapp 460 GWh per 2050 durch eine ambitionierte Energie- und Klimapolitik auf 174 GWh (-62%) sinken. Im Absatz-Gebiet verzeichnen wir über einen hohen Anteil an Prozessgas. Die Strategie umfasst drei Handlungsfelder mit zahlreichen Massnahmen:

  1. Zielnetze: Das Verteilnetz per 2040 auf die Prozessgaskunden auszurichten. Ebenfalls ermittelt wurde der Erneuerungsbedarf des Netzes. Die Netzlänge entspricht beinahe der Länge des Wassernetzes. Der Grossteil des Verteilnetzes ist noch jung und müsste gemäss technischer Lebensdauer erst in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts ersetzt werden.
  2. Vertrieb und Kommunikation: Zentrale Massnahme ist hier die proaktive und transparente Kommunikation an die Wärmekunden, dass ab dem Jahr 2040 keine Garantie zur weiteren Versorgung über das Gasverteilnetzes besteht.
  3. Flankierende Massnahmen: Zu diesen Massnahmen gehören unter anderem die Kürzung der Abschreibedauer die Anpassung der Netzentgelte, Kostensenkungsmassnahmen im Betrieb und Unterhalt wie auch eine effiziente Ausserbetriebnahme von Gasanschlüssen, etc.

2. Ab dem Jahr 2040 garantiert Thurplus die weitere Heizgasversorgung nicht mehr. Auf welche alternativen Heizsysteme steigen Sie um?

FH: Thurplus hat im Jahr 2020 ein Konzept zur Wärme- und Kälteversorgung der Stadt erarbeitet. Dieses bildet mit dem Energierichtplan die Basis, die kommunalen Energieziele im Wärmebereich umzusetzen und die lokal vorhandenen Energiequellen zu nutzen. Die Stadt wird dafür in 8 Zonen eingeteilt. Drei Zonen sollen prioritär mit Wärmeverbunden erschlossen werden, in vier Zonen sind Verbunde zu prüfen und in einer Klassischen EFH-Zone sind individuelle Lösungen vorgesehen.
Zudem sieht Thurplus vor, das bestehende Energienetz in der Altstadt und im Murgbogen (ein Entwicklungsgebiet zum Verdichten) zu erweitern und Frauenfeld West mit Abwärme der Bioenergie Frauenfeld (Pyrolyse im Holzheizwerk) zu erschliessen. Im September stimmte das Volk den ersten zwei Fernwärmeprojekten (Altstadt und West) mit Krediten von 40 Mio. Franken bei einem Ja-Anteil von 85% zu.

3. Ist der Einsatz von Biogas und / oder erneuerbaren synthetischen Gasen bei Ihnen in Frauenfeld Thema und eine vertretbare Option?

FH: Aus Sicht des Klimaziels Netto Null ist es jedoch unwahrscheinlich, dass bis 2050 genügend erneuerbare oder klimaneutrale Gase zur Verfügung stehen, um das Versorgungsgebiet von Thurplus flächendeckend zu beliefern.
Wird das gesamte nutzbare Potenzial aus nicht verholzter Biomasse in der Schweiz für Biogas genutzt, kann ein Anteil von rund 15 bis 20% des heutigen Gasverbrauchs gedeckt werden. Das Potential von erneuerbarem synthetischem Gas, welches mit erneuerbarem Strom produziert wird (sofern dieser Strom nicht anderwärtig benötigt wird), liegt bei 5 bis 15% des heutigen Gasabsatzes.
Dies ergibt ein Total von rund 15 bis 30% des heutigen Gasverbrauchs, das langfristig mit inländischem erneuerbarem Gas gedeckt werden kann. Ja es wäre eine Option, aber eine wohl eher unrealistische Variante.
Im Zuge der regelmässig geplanten Überprüfung der Gasnetzstrategie wird die Entwicklung rund um den erneuerbaren Gasmarkt genaustens beobachtet. Wir gehen aber nicht davon aus, dass es zu grossen Veränderungen unserer heutigen Einschätzungen kommt.

4. Welche Herausforderungen werden die Ausserbetriebnahme von Gasanschlüssen und die Umstellung mit sich bringen? Wie werden Sie diese Herausforderungen angehen?

FH: Thurplus unterstützt die Kundinnen und Kunden in der Transformation zur Dekarbonisierung und bemüht sich um eine effiziente und für die Kunden kostengünstige Ausserbetriebnahme von Gasanschlüssen.
Den Kunden (Anschlussnehmer) wird – wenn technisch möglich – angeboten, den Hausanschluss auf ihre Kosten kostengünstig zu verzapfen wobei der Hausanschluss in regelmässigen Abständen durch uns auf Dichtheit überprüft werden muss.
Dies gilt so lange, bis die Gasversorgungsleitung des Hausanschlusses von Thurplus ausser Betrieb genommen und damit der Hausanschluss definitiv als ausser Betrieb genommen gilt. Ist eine Ausserbetriebnahme aufgrund von technischen Rahmenbedingungen nicht möglich, muss der Anschluss auf der Grundstücksgrenze mechanisch getrennt werden.
Dies gilt dann als Rückbau im Privatgrund und ist Sache der jeweiligen Eigentümerschaft – so sieht es unser Reglement vor. Der Rückbau im öffentlichen Bereich wird über die allgemeinen Durchleitungskosten finanziert und im Rahmen des geplanten Strassenbaues vollzogen.

5. Welche Ratschläge können Sie anderen Städten und Gemeinden aus Ihrer Erfahrung mit auf den Weg geben?

FH: Ungefragt Ratschläge zu erteilen, birgt Gefahr überheblich zu wirken. Wichtig scheint mir vielmehr die Frage nach dem Ziel: Was möchten Gemeinden und Städte erreichen? Auf dem Weg die Erfahrung selbst zu machen ist wohl wertvoller als Ratschläge. Dabei haben wir die Erfahrung gemacht, wie wichtig Vernehmlassungen zur politischen Diskussion sind. Schlussendlich kann unsere Gasnetzstrategie, aus Sicht Kunden, auf eine Kernaussage reduziert werden: Ab 2040 garantiert Thurplus für Wärmeerzeugung kein Gas mehr.
Aus Sicht der technischen Projektleitung ist es ratsam sich vor dem Projektstart im Klaren zu sein, das das Projekt dann effizient und zielführend durchgeführt werden kann, wenn die wichtigen Grundlagen bereits vorliegen oder zumindest verfügbar sind. Wir denken da an Plangrundlagen der Netzinfrastruktur mit den Meta-Informationen (Baujahr, Materialisierung, Nennweiten, Druckstufe etc.) wie auch an die Kundendatenbank mit den Infos zu Kundengruppe, Gasverbrauch, Anlageninformationen wie Anlagenart, Anlagenalter etc. Dafür müssen meist verschiedene Datenquellen angezapft werden was nicht immer einfach möglich ist. Je besser diese Datenbasis ist, um so genauer sind die Simulationsergebnisse und damit die Prognosen und das Ableiten von Massnahmen möglich.

Zum Ratgeber

Fabrizio_Hugentobler

Fabrizio Hugentobler, Stadtrat der Stadt Frauenfeld