«Aufgefallen – Reisen bildet»
Auf Reisen entdecken und erleben wir Neues, dem wir zu Hause im vertrauten Umfeld gar nicht oder in anderer Art und Weise begegnen. Fällt uns diese Neu- bzw. Andersartigkeit auf, zeigen wir meist eine der folgenden beiden Reaktionen. Entweder sind wir froh darüber, dass dies oder jenes bei uns nicht so ist oder wir fragen uns, wieso das bei uns nicht auftritt. Solchen Erlebnissen widmet sich die neue Beitragsserie «Aufgefallen». Nicola Kugelmeier, Mitarbeiterin der Stadt Zürich, ist kürzlich von einer Reise nach Berlin zurückgekehrt und teilt ihre Eindrücke mit uns. Im Rahmen eines städtischen Austauschprogramms hat sie die Berliner «Kiezblock»-Initiativen erkundet und dabei spannende Anregungen für das Zürcher Projekt «Quartierblöcke» mitgebracht.
© Nicola Kugelmeier, Stadt Zürich
1. Nicola Kugelmeier, wir freuen uns, dass Sie sich für unsere Beitragsreihe zur Verfügung stellen. Sie waren kürzlich in Berlin. Was hat Sie zu diesem Reiseziel geführt?
Kugelmeier: Die Stadt Zürich setzt im Rahmen ihrer Strategie der Aussenbeziehungen auf temporäre Kooperationen mit anderen europäischen Städten. Ein Fokusthema wird jeweils ausgewählt, das strategisch relevant ist und mehrere Dienstabteilungen der Stadt Zürich betrifft. Auf dieser Grundlage wird eine Partnerstadt gewählt, die sich als Vorreiterin in der jeweiligen Thematik profiliert hat. Für 2024 liegt der Fokus auf dem Thema «Quartierblock».
Der fachliche Austausch mit den anderen Städten ermöglicht es, bewährte Methoden und Massnahmen auf Zürich zu adaptieren. Berlin wurde als Partnerstadt ausgewählt, da die Kiez-block-Offensive der Senatsverwaltung dauerhafte Lösungen anstrebt (im Gegensatz zu temporären Projekten in Städten wie Hamburg und Wien). Zudem bestehen bereits etablierte Beziehungen mit der Senatsverwaltung, die auf dem Projekt «Zürich meets Berlin» aus dem Jahr 2022 beruhen sowie der geplante Austausch auf politischer Ebene im November 2024. Berlin gilt als führend im deutschsprachigen Raum bei der Umsetzung von «Quartierblöcken» («Kiezblocks» in Berlin), mit 72 aktiven Kiezblockinitiativen, von denen 36 politisch beschlossen und sechs teilweise umgesetzt wurden.
2. Was ist Ihnen bei Ihrem Aufenthalt «aufgefallen»?
Kugelmeier: Die Struktur der Kiezblocks in Berlin ähnelt den geplanten «Quartierblöcken» in Zürich, ist aber nicht wie in Barcelona rasterförmig. In Berlin sind die Strassenabschnitte grösser, was Platz für Modalfilter (keine Durchfahrt für den Mfz-Verkehr, jedoch für den Fuss- und Veloverkehr) oder Diagonalsperren bietet. Kiezblocks werden in kleinere Teilgebiete unterteilt, um Schleichverkehr zu verhindern. Fahrradstrassen, ähnlich den Zürcher Velovorzugsrouten, bilden die Grenzen dieser Teilgebiete. Der Schleichverkehr nimmt deutlich ab, und Mobilitätsroutinen ändern sich spürbar.
Die Umsetzungskonzepte der Kiezblocks werden oft direkt von Initianten eingereicht, was die Umsetzbarkeit teilweise erschwert. Initianten sind für die Konzeptentwicklung, die Kommunikation innerhalb ihres Kiezblocks, den Aufruf zur Unterstützung sowie für gestalterische Mass-nahmen, Betrieb, Pflege und Unterhalt verantwortlich. Dies wird durch Nutzungsverträge geregelt. Die Bottom-Up-Prozesse werden gefördert, da die Verwaltung über begrenzte Ressourcen verfügt. Die Umsetzung erfolgt schrittweise, wobei der Schwerpunkt zunächst auf verkehrsbezogenen Massnahmen liegt (Konzentration auf das Machbare).
3. Welchen Chancen und Herausforderungen steht das Projekt «Quartierblöcke» gegenüber?
Kugelmeier: Die «Quartierblöcke» sind eine Chance, die Transformation und Veränderungen sowohl in der Mobilität wie auch im Stadtraum zeitnah und schrittweise einzuführen, um einen wichtigen Bei-trag zur Zielerreichung der neuen Strategie “Stadtraum und Mobilität 2040” zu leisten. Sie sind zudem als Massnahme im kommunalen Richtplan verankert, ein Postulat für die Umsetzung wurde eingereicht und die Annahme der Gegenvorschläge der Gegenvorschläge zur Zukunfts- sowie Gute-Luft-Initiative am 22.9.2024 geben einen klaren Auftrag.
In Zürich werden die «Quartierblöcke» mit den jeweiligen Quartieren gemeinsam geplant. Es ist eine situative Entwicklung. Damit werden die Bedürfnisse vor Ort spezifisch abgeholt und die Leute vor Ort identifizieren sich mit dem Projekt. Diese Chance gilt es zu nutzen.
Der Wunsch nach einer mutigen und schnellen Umsetzung ist ebenfalls eine Chance. Gleichzeitig sind bereits angekündigte Einsprachen eine Herausforderung. Diese können das Projekt verzögern und das Engagement der Bevölkerung bei einem längeren Prozess reduzieren.
4. Welche Ziele werden mit dem Projekt «Quartierblöcke» verfolgt?
Kugelmeier: Die «Quartierblöcke» haben zum Ziel den Schleichverkehr zu unterbinden, den Fuss- und Veloverkehr zu fördern und die Sicherheit für Fussgänger*innen und Velofahrende zu erhöhen. Es soll mehr Platz für das Quartierleben geben. Zusätzlicher öffentlicher Freiraum wird für Begegnungen und gemeinschaftliche Aktivitäten geschaffen. Die Schulwegsicherheit wird verbessert.
5. Wie erfolgte die Auswahl der ersten Pilotquartiere?
Kugelmeier: Nach einer Grundlagenrecherche folgte die Konzeptentwicklung. Im Konzept sind Ziele, Rahmenbedingungen und Kriterien für die Zürcher «Quartierblöcke» festgehalten.
Die ganze Stadt Zürich wurde auf potenzielle Standorte überprüft. Daraus sind über 60 Standortvorschläge zusammengekommen. In einem iterativen Prozess wurden vier für die Pilotierung ausgewählt. Ein entscheidendes Kriterium bei der Auswahl der Pilotgebiete war, dass ein nachweisliches Interesse im Quartier vorhanden ist. Mit den Erfahrungen aus den vier Pilotprojekten wird das Konzept «Quartierblöcke» weiterentwickelt und gemäss den Vorgaben der Richtplanung in weiteren Stadtgebieten ausgerollt.
6. Sehen Sie eine Möglichkeit, dass dieses Konzept auch im Metropolitanraum Zürich umsetzbar ist? Wenn ja, welche Voraussetzungen braucht es dafür?
Kugelmeier: Grundsätzlich ist eine Reduktion des Schleichverkehrs durch Quartiere anzustreben und eine neue Aufteilung des Strassenraums zugunsten von Quartierleben und Grünraum ebenso. Es braucht eine situative Auseinandersetzung mit den Rahmenbedingungen und Kriterien. Entscheidend ist, ob die Bevölkerung vor Ort ein Interesse hat. Ebenso relevant sind die verkehrlichen und stadträumlichen Gegebenheiten.